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27. Oktober 2017, 18:51 :: Aktuelle Trends | Allgemein
Autor: Olga Rube
Stimmen, die sich für eine einfachere Kommunikation und bessere Vernetzung im Gesundheitswesen aussprechen, werden immer lauter und der Wunsch nach digitalen Lösungen im Healthcare Sektor immer größer. STARTPLATZ Geschäftsführer Dr. Lorenz Gräf spricht mit uns über Chancen und Potenziale von eHealth-Konzepten, wo es Nachholbedarf im deutschen Gesundheitssystem gibt und was der STARTPLATZ konkret plant, um das Thema eHealth voranzubringen.
„Das deutsche Gesundheitssystem agiert auf einer Datenblindheit.“ Dr. Lorenz Gräf
Lorenz, welche Chancen und Potenziale siehst du als Geschäftsführer des STARTPLATZ in eHealth-Konzepten und inwiefern können sie das Gesundheitssystem nachhaltig transformieren?
Ich nehme das deutsche Gesundheitssystem als digital ungeheuer rückschrittlich wahr – nicht nur, weil das nicht-digitale Vorgehen dazu führt, dass der Patient unheimlich unzufrieden ist. Ich gehe so weit, zu sagen, dass der Patient ein bis zwei Lebensjahre verliert, weil die Prozesse im Gesundheitswesen nicht so gut koordiniert sind wie sie sein könnten.
Die Nichtnutzung der Daten befähigt zwar die etablierten Spieler im Gesundheitswesen dazu, ihre Position beizubehalten, hilft den Kranken jedoch nicht, gesünder zu werden. Ich denke, dass die Stärke der entscheidenden Spieler im deutschen Gesundheitsmarkt dazu beiträgt, dass sich bislang nur wenige digitale Konzepte entwickelt haben. Der Veränderungsdruck hingegen wird auf der Seite des Nutzers immer stärker, der feststellt wie leicht es ist, im Internet Ärzte, Kliniken u. Ä. zu vergleichen. Wenn ein Patient jedoch auf die Idee kommt, seine eigenen Gesundheitsdaten zu suchen, gestaltet sich dies deutlich schwieriger – obwohl diese Informationen dem Individuum zustehen sollten.
Deutschland hinkt, was Digital Health Konzepte angeht, im internationalen Vergleich deutlich hinterher. Woran liegt das und wie kann eine Umstrukturierung des Gesundheitssystems gelingen?
Von den Startups, die sich der Digitalisierung des Gesundheitssystems verschrieben haben, kann man aktuell lediglich kleine Bausteine abgreifen. Mich erinnert das ein Stück weit an die mittelalterliche Bestürmung einer Burg. Bildlich betrachtet, schießen die Startups mit ihren Gründungsideen Kanonenkugeln auf die Stadtmauer und greifen so das Gesundheitssystem schrittweise an – an gewissen Stellen mit Erfolg. Meiner Ansicht nach werden sich innerhalb der nächsten zwei Jahre für Startups mehr Möglichkeiten ergeben. Ein Grund dafür ist, dass in Zukunft vermehrt eine bestimmte Dynamik von den Patienten ausgehen wird. Das zeigt sich in dem Beispiel der Digitalen Waage von Medisana, bei der sich über 150.000 Menschen freiwillig dafür bereiterklärt haben, ihr Gewicht per Bluetooth auf eine App und gleichzeitig in eine User Community übertragen zu lassen. In dem Portal konnten sich die Nutzer anschließend zu diversen Fragen austauschen. Das zeigt, dass Menschen durchaus bereit sind, ihre Daten auszutauschen, wenn sie selbst davon profitieren.
Vergleichen wir die digitalen Prozesse in der Medizin mit denen unserer Nachbarländer – beispielsweise den Niederlanden – wo Patienten in die Klinik gehen und der behandelnde Arzt die Daten des Patienten automatisch ausliest, stellt man fest, dass dort auf einer Datenfülle agiert wird, während wir in Deutschland auf einer Datenblindheit agieren. Fragen wie „Was hat ein Arzt vorher behandelt?“ oder „Welche Diagnosen gab es vorher?“ können in Deutschland nicht beantwortet werden. Der Arzt steht in Unkenntnis dessen, was vom vorherigen Arzt verordnet wurde. Die Folge: Werte müssen erneut erhoben werden, eine neue Diagnose muss erfolgen. Dies macht deutlich, dass wir uns in Deutschland strukturell blind gemacht haben. Wenn wir unser Recht auf Zugang zu den eigenen Daten nutzen wollen, stellt das in Deutschland ein abstraktes Recht dar.
Die Tendenz geht auch immer stärker in Richtung digitale Terminvereinbarung, Online-Vergleichs- und Bewertungsportale von Ärzten, Wearables etc. Warum schreiten digitale Innovationen in dieser Hinsicht dennoch nur langsam voran?
Sicherlich spielt da der Kostenfaktor eine entscheidende Rolle. Amerikanische Unternehmen, die den Markt bearbeiten – als Paradebeispiel dient hier Google oder Apple – verfügen über genügend finanzielles Kapital, um einige Jahre lang Dienste kostenlos zur Verfügung zu stellen. Wenn das in gleicher Weise ein deutsches Unternehmen oder Startup machen würde, müsste es für seine Dienstleistungen auf Einnahmen verzichten. Das ist ein Geschäftsmodell, für das hierzulande schlichtweg die finanziellen Mittel fehlen.
Warum haben es Digital Health Startups deiner Meinung nach schwer in Deutschland und mit welchen Herausforderungen sehen sich junge Gründer in dieser Branche konfrontiert?
Wir haben es in Deutschland mit strengen Zulassungsrichtlinien zu tun. Solange man im Sportbereich gründet, bieten sich hier viele Möglichkeiten, möchte man jedoch ein technisches Hilfsmittel oder medizinisches Arzneimittel auf den Markt bringen, muss man als Gründer mit langwierigen Zulassungsprozeduren rechnen. Lange Prozesse eignen sich nicht für Startups. Ich glaube zwar, dass Startups jeglichen Sektor angreifen können, der Gesundheitsmarkt ist jedoch längst nicht so offen wie andere Branchen.
Welche Tipps kannst du Gründern mit auf den Weg geben, die sich im Bereich eHealth selbstständig machen wollen?
Mit Themenbereichen anfangen, die keiner starken Regelung unterliegen, bei denen es keine eingefahrenen Player gibt, die die Chance haben, einer Zulassung im Weg zu stehen. Dort ansetzen, wo es eine klare Nischenanwendung gibt und wo man sehr schnell Kunden überzeugen kann. Am schnellsten und einfachsten geht das mit Endkunden, Ärzten, Apothekern und Freiberuflern.
Gibt es im STARTPLATZ bereits einige vielversprechende Startups, die digitale Lösungen im Gesundheitswesen anbieten?
Ja, der STARTPLATZ beheimatet mehrere innovative Startups der Digital Health Branche. Eines davon ist trackle: Das Team hat ein Messgerät entwickelt, mit dem Frauen ihr fruchtbares Zeitfenster identifizieren können. Taramax ist ein Startup, das auf ganzheitliche Medizin setzt. Ein weiteres Startup, das bei uns im STARTPLATZ sitzt, ist Curassist: Das Team hat sich der Digitalisierung der Pflege verschrieben. Dann gibt es da noch Doctolib und Visidoo. Die beiden Startups bieten Dienstleistungen in der Sprechstundenvermittlung an. Das Startup Ubirch zieht jetzt in den STARTPLATZ ein – das Team entwickelt die Hardware für trackle. Startups, die eine Hardware-Idee haben, finden also sowohl in Köln als auch im iox lab in Düsseldorf Unterstützung.
Inwiefern unterstützt der STARTPLATZ junge Gründer dieser Branche und ist ein eigenes Accelerator Programm im Bereich Health Tech in Planung?
Wir wollen Digital Health zu einem der Schwerpunkte unseres STARTPLATZ Accelerator Programms machen. Sobald wir genügend Startups zum Thema Digital Health haben, wird ein eigenständiger Accelerator zum Thema eHealth folgen. Zunächst einmal ist eHealth als Teil des STARTPLATZ Accelerators gut aufgehoben. Dort unterstützen wir unsere Startups in erster Linie mit sehr guten Kontakten, mit Expertise und Netzwerk. Wir kooperieren mit Trägern wie HealthCare Futurists, Bayer, Grants4Apps und der Schnittstelle Krankenkassen. Wir halten einmal im Jahr eine Konferenz zum Thema Digital Health und wir haben bereits einen Innovate Health Care Hackathon durchgeführt. Zudem findet das Data Science und Quantied Self Meetup am STARTPLATZ statt. STARTPLATZ ist Mitglied der Gesundheitsregion KölnBonn und des BVDIG, dem Bund zur Verbreitung digitaler Innovationen im Gesundheitswesen e.V.
Mit einem großen Netzwerk und unserem Pool an innovativen Startups möchten wir den Weg zur digitalisierten Medizin in Deutschland ebnen und aktiv daran mitwirken, den Patienten dabei in den Fokus zu stellen.