Assekuranz prädestiniert für Digitalisierung (Interview Frau Völler)

Assekuranz prädestiniert für Digitalisierung (Interview mit Michaele Völler)

3. Mai 2017, 09:00 :: Allgemein

Autor: Carolin Gattermann

Michaele Völler war mehrere Jahre als Strategieberaterin tätig und hat zahlreiche Projekte für deutsche und internationale Versicherungsunternehmen durchgeführt. Momentan ist sie als Professorin für Unternehmensführung/Strategie und Versicherungsmarketing am ivwKöln der TH Köln tätig und gehört dem Institutsvorstand an.

In unserem Interview spricht Michaele Völler mit uns über die Digitalisierung der Versicherungswirtschaft und die Möglichkeiten, die sich daraus für Unternehmen und Startups bieten.

 

Guten Tag Frau Völler!

Wie hat sich in Ihren Augen die Versicherungswirtschaft in den letzten Jahren entwickelt? Welche Rolle spielen hierbei die Digitalisierung und die jungen Leute, also Digital Natives, als neue Kundschaft?

Die Herausforderungen für Versicherer sind in den letzten Jahren durch verschiedene Einflüsse stark gestiegen, u. a. durch das anhaltende Niedrigzinsniveau und natürlich durch die Digitalisierung. Als Branche mit einem immateriellen Produkt und als daten- und wissensbasierte Disziplin ist die Assekuranz eigentlich prädestiniert für Digitalisierung. Allerdings hat sie sich in der Vergangenheit noch schwer getan, sich von der Produktdenke zu lösen, während andere Branchen – insbesondere die digitalen Giganten wie Google, Apple und Amazon – den Kunden konsequent in den Mittelpunkt stellen.

Dadurch sind die heutigen Kunden, allen voran die Digital Natives, „verwöhnt“. Sie leben in einer intuitiven und benutzerfreundlichen Welt, in der ihnen hochfrequent besondere Werte geboten werden, sowohl beim „Was?“ als auch beim „Wie?“. Durch digitale Komponenten sind die Angebote leicht individualisierbar, so dass der wahrgenommene Wert sogar noch steigt. Die positiven Erfahrungen, die die Kunden sowohl mit den digitalen Giganten als auch mit den pfiffigen Startups machen, prägen heute auch ihre Erwartungen an die Versicherer.

Einige etablierte Player haben das bereits verstanden und arbeiten nun intensiv daran, vom Kunden her zu denken und ihre Angebote weiterzuentwickeln.

Können Sie in ein bis zwei Sätzen beschreiben, was sich hinter dem Begriff InsurTech verbirgt? 

Das Kunstwort InsurTech leitet sich aus den Begriffen Insurance und Technology ab. Mit InsurTech bezeichnet man streng genommen neue Technologien im Versicherungsumfeld. Tatsächlich nutzt man den Begriff aber vor allem auch für ein Startup, das (teils neuartige) Dienstleistungen unter Einbezug moderner Technologien in die Versicherungswirtschaft einbringt.

Bei „Versicherungen“ oder „Insurance Technology“ fühlen sich viele vielleicht gar nicht erst angesprochen – können Sie ein paar Bereiche nennen, die man auf den ersten Blick nicht mit InsurTech verbindet, aber durchaus dazu zählen? 

Die wahren Bedürfnisse eines Kunden liegen typischerweise außerhalb der traditionellen Industriegrenzen. Das ist übrigens ein „alter Hut“, nicht erst eine Einsicht im digitalen Zeitalter! Kein Kunde hat das originäre Bedürfnis, ein Versicherungsprodukt zu kaufen. Wenn man nicht an Versicherungsprodukte, sondern Kundenbedürfnisse denkt, findet man schnell InsurTech-Potenziale, beispielsweise in den Bereichen Mobilität, Vitalität, persönliche Assistenz oder Farmoptimierung.

Schauen Sie sich das letzte Beispiel an: Ein Farmer verspürt nicht das originäre Verlangen nach einer Ernteversicherung, sondern will seinen Farmalltag und seine Farmerträge optimieren und seine Existenz absichern. Also muss ich überlegen, wie ich ihm dabei helfen kann.

Die Gründer des US-amerikanischen Unternehmens „The Climate Corporation“, zwei frühere Google-Mitarbeiter, entwickelten auf Basis umfangreicher historischer Wetterdaten ein überlegenes Wetterprognosemodell. Mit seiner Hilfe konnte nicht nur Versicherungsschutz für zuvor nicht versicherbare Landflächen geboten werden, auch der Prozess im Schadenfall wurde hierdurch vereinfacht. Letztlich weiß der Versicherer durch Wettermessungen bereits, dass sich ein Schaden ereignet hat, bevor er gemeldet wird. So kann der Schadenprozess verschlankt und das Kundenerlebnis verbessert werden – selbst im ärgerlichen Schadenfall.

Das alles ist noch nah am herkömmlichen Versicherungsgeschäft. Der eigentliche, hochfrequente erlebbare Mehrwert der Climate Corporation bestand in einer Farmoptimierungs-App auf Basis des Wettermodells, die wertwollte Tipps gab, ob die Ernte eingeholt werden soll, weil am nächsten Tag mit Regen zu rechnen ist, wann die Saat ausgebracht werden soll usw.

Die Climate Corporation hat in der Zwischenzeit ihr Versicherungsgeschäft an einen etablierten amerikanischen Versicherer verkauft und fokussiert sich nun nur noch auf die digitalen Zusatzservices. Das unterstreicht in gewissem Sinne, dass die interessanten Ideen bei InsurTechs auch außerhalb des eigentlichen Versicherungsgeschäfts liegen können.

Welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für Startups?

Als Startup muss ich nicht notwendigerweise die Kern-Wertschöpfung der etablierten Versicherer angreifen und Versicherungen bauen, sondern kann interessante Geschäftsideen entwickeln, die an die Versicherer-Wertschöpfungskette angebunden werden. Es geht dann um eine gewinnbringende Kooperation beider Seiten, nicht um den Frontalangriff. Letztlich ist das auch die Herausforderung für die etablierten Player: Über die Industriegrenzen hinaus denken, den Blick weiten, die wahren Kundenbedürfnisse erkennen und bedienen – und hierfür bei Bedarf Kooperationspartner suchen.

In Deutschland ist die Aktivität in Sachen InsurTech in den letzten Jahren stark gestiegen. Sehen Sie Modelle, die echte Disruption anbieten?

Der Begriff „Disruption“ wird in letzter Zeit ja geradezu inflationär benutzt. Echte Disruptionen sind jedoch sehr selten. Innovation muss nicht notwendigerweise disruptiv sein. Ich sehe im Moment noch keine disruptiven Ansätze, wohl aber viele innovative und wertvolle Ideen. Und die gilt es nun auszubauen und weiterzuentwickeln!

Vielen Dank für das ausführliche Interview!

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